„Strahlentherapie kann die rettende Lösung sein“
Ravensburg – Strahlentherapie kann eine wertvolle Alternative für chirurgische Operationen sein und eine Art Zaubermittel gegen mannigfaltige Erkrankungen. Es wundert also nicht, dass es beim Vortrag von PD Dr. Bernhard Berger zur Bestrahlung von gutartigen Krankheiten wie Arthrose kürzlich am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg keinen freien Platz mehr gab. Gleich 100 Zuhörer wollten die Expertise des Chefarztes der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie hören.
Es waren zumeist ältere Semester –Strahlentherapie wird fast exklusiv bei über 40-Jährigen eingesetzt. „Bei jüngeren Menschen versucht man, Bestrahlungen zu vermeiden“, sagt Dr. Berger. „Hier gilt die Krebsgefahr als zu groß, sie ist stark altersabhängig. Bei Älteren beträgt das Risiko im Mittel 0,01 Prozent. Das ist nicht nichts, aber ein extrem geringer Wert, bedenkt man, welch schmerzhafte Krankheiten man mit Strahlung verbessern kann.“ Etwa 40 zählte der Chefarzt im Laufe seines Referats auf und erläuterte sie anhand eines Skeletts – vom klassischen Tennis-Ellbogen bis zum Morbus Ledderhose, einer Bindegewebseinlagerung an der Fußsohle, die 1894 vom deutschen Chirurgen Georg Ledderhose erstmals beschrieben wurde.
Exakt so alt, 130 Jahre nämlich, ist die Strahlentherapie an sich. Wilhelm Conrad Röntgen erfand damals die nach ihm benannten diagnostischen Röntgenapparate, deren Strahlen in der Anfangszeit noch manche Menschen zum Opfer fielen. Heutzutage ist die Strahlentherapie eine ausdifferenzierte Wissenschaft, mit der sich millimetergenau zentriert, optimal dosiert und maximal geschützt spezifische Entzündungen entfernen lassen. Gleich vier Medizinische Physiker arbeiten am EK, um Präzision und Perfektion zu gewährleisten. Sie steuern hochkomplexe Linearbeschleuniger und führen bei großen Gelenken und sensiblen Organen auch Planungs-CTs durch.
Mehr als 50 000 Patienten mit gutartigen Erkrankungen werden pro Jahr in Deutschland bestrahlt, etwa 800 davon in Ravensburg, nach Erstgespräch und Indikationsstellung übernehmen die Kassen die Behandlung. Meist reichen fünf bis zehn Sitzungen, die nur wenige Minuten dauern. „Strahlung bekämpft die ursächlichen Entzündungsvorgänge und lindert rheumatisch-orthopädische Beschwerden deshalb effektiv. Wenn sie niedrig dosiert ist, werden schnelllebige Entzündungszellen abgetötet, und das Immunsystem wird lokal gedämpft. Strahlung reduziert die Aktivität von Leukozyten, mindert die Ausschüttung von Zytokinen und hemmt damit die Schmerzrezeptoren“, sagt Dr. Berger. Allerdings sei sie etwa bei Gelenksarthrosen nicht das erste Mittel: „Zunächst empfehlen wir handelsübliche Schmerzmittel, auch Cortison, dessen Wirkung aber nach zwei Wochen oft verpufft, und natürlich Physiotherapie, gesunde Bewegung. Auch konservative Orthopädie, etwa Stoßwellenbehandlungen, sind eine gute Möglichkeit. Aber wenn dies alles nicht wirkt und eine Operation keinen Sinn macht oder noch zu früh käme, ist Bestrahlung häufig die rettende Lösung.“
Nicht alle Gelenksleiden kommen dabei für Bestrahlung in Frage. „Bei Bandscheibenvorfällen, wo die Nervenwurzel im Rückenmark gequetscht wird, oder anderen mechanischen Defekten, etwa wenn Knochen auf Knochen reibt, ist Bestrahlung weniger effektiv. Bei vielen anderen Erkrankungen kann sie jedoch nachhaltig die beste Therapie sein, und auch bei Knie- oder Hüftarthrosen gibt es oft eine große Chance auf Linderung des Schmerzes“, sagt der Chefarzt.
Typische Erkrankungen in seiner Klinik sind degenerative Erkrankungen wie Arthritis oder Arthrosen, etwa an Fingern oder dem Sprunggelenk. „Hier haben wir eine Erfolgschance von 70 Prozent, oft macht die Bestrahlung auch vor einer Operation Sinn“, sagt Dr. Berger. Noch häufiger sind entzündliche Bindegewebserkrankungen wie Fersensporn, Achillessehnenentzündung, Schulter-Impingement, Schleimbeutelentzündungen, das Trochanter-Syndrom oder der Tennis- oder Golferellenbogen, die auch durch falsche und einseitige Haltungen begünstigt werden – oder durch falsches Schuhwerk wie etwa beim Fersensporn. Ratsam sei bequeme Kleidung zu tragen, „die nicht zu Druck, Kompressionen oder Fehlhaltungen führt“, sagt Dr. Berger. „Manchmal ist der Trick auch hier, abzuwechseln, nicht immer einseitiges zu tragen.“
Dritte Gruppe der gutartigen Erkrankungen, bei denen Strahlung hilft, sind die proliferativen Bindegewebserkrankungen, die durch rasante Zellwucherung zustande kommen, etwa das Morton-Neurinom, eine Nervenverdickung des Vorfußes. „Solche Erkrankungen werden eher werktäglich bestrahlt mit Elektronen, die wenige Millimeter eindringen.“
Im Optimalfall könne man mit Bestrahlung bereits nach wenigen Wochen Erfolge verzeichnen, „das heißt, die Entzündung und der Schmerz lassen spürbar nach und kommen bestenfalls zum Erliegen“, resümierte Chefarzt Dr. Berger. „Wer hartnäckige, alltagsrelevante Beschwerden hat, tut gut daran, diese Therapie in Erwägung zu ziehen. Sie ist eine große Chance.“