Mythen der Wundheilung

Der Frühling kommt und es zieht alle wieder hinaus in die Natur. Beim Radfahren oder Inlineskaten ist es schnell passiert, dass man sich kleine Verletzungen zuzieht. Auch am Grill kommt es durch eine kurze Unachtsamkeit leicht zu Verbrennungen. Schon oft gelesen oder zumindest auch mal gehört hat man davon, wie mit kleineren Wunden umzugehen ist – doch was ist dran an diesen Ratschlägen? Darüber gibt Ralf Remmele, Oberarzt im Gefäßzentrum am Krankenhaus St. Elisabeth (EK), Auskunft. Er beantwortet auch die Frage, wo der Unterschied zwischen solchen doch alltäglichen und chronischen Wunden liegt. Denn chronische Wunden zählen zum Fachgebiet des Wundzentrums am EK. Hier werden Patienten ambulant und stationär behandelt.

Mythos 1: Wunden heilen am besten an der Luft!

Nein. Bereits seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass durch ein feuchtwarmes Milieu Wunden deutlich besser und auch schneller abheilen.

Mythos 2: Pflaster sind Brutstätten für Keime!

Ein steriles Pflaster ist bei kleinen, unproblematischen Wunden durchaus ausreichend, allerdings muss dieses regelmäßig gewechselt werden. In erster Linie dienen haushaltsübliche Pflaster dem Schutz vor weiteren Verunreinigungen. Bei größeren Wunden sind eine professionelle Wundversorgung mit ärztlicher Untersuchung, Wundreinigung, eventuell Naht und die Kontrolle des Impfstatus sinnvoll und notwendig. Bei komplexeren Wunden kommen häufig spezielle Wundauflagen zum Einsatz, welche selbstverständlich auch in regelmäßigen Abständen gewechselt werden müssen.

Mythos 3: Je besser die Wundversorgung, desto kleiner die Narbe!

Die Narbenbildung hängt auch maßgeblich von der Beschaffenheit der Wunde ab. Bei tiefen und verschmutzten Wunden mit unregelmäßigen Wundrändern wird eine verstärkte Narbenbildung zu beobachten sein. Optimale Voraussetzungen für die Wundheilung bieten hingegen frische, glatte und saubere Wundränder, wie sie beispielsweise durch einen Schnitt während einer Operation entstehen. Manche Menschen neigen von Hause aus zu einer überschießenden Narbenbildung, in der Fachsprache als Narbenkelloid bezeichnet.

Mythos 4: Wunden, die jucken, heilen!

Ich sage das auch immer und beobachte das ebenso bei meinen Patienten. Erklären kann ich es nicht, jedenfalls besteht in der Regel kein Grund zur Beunruhigung, wenn die Wunde juckt. Der Patient sollte nicht kratzen, da die Wundheilung durch Verletzungen der neugebildeten Haut verzögert wird.

Mythos 5: Honig unterstützt die Wundheilung!

Belegt ist die Wirkung von Honig nicht. Grundsätzlich ist davon abzuraten, Hausmittel von außen auf eine Wunde zu geben. Vor Verwendung von z. B. Wundheilcremes sollte immer Rücksprache mit einem in der Wundbehandlung erfahrenen Arzt oder Apotheker gehalten werden.

Bei welchen Anzeichen ist es ratsam, einen Arzt aufzusuchen?

Ein Arztbesuch ist dringend anzuraten bei Anzeichen einer Wundinfektion mit lokaler Rötung, Erwärmung, Schwellung, Schmerzen oder Funktionseinschränkungen des betroffenen Bereichs. Teilweise kann auch Fieber auftreten. Kommt es nicht zeitnah zur Abheilung einer Wunde, sollte nach der Ursache gesucht werden. Als Faustregel gilt: Alltägliche Wunden sollten innerhalb von vier bis sechs Wochen abgeheilt sein.

Wie funktioniert Wundheilung?

Wundheilung läuft in drei Phasen ab. In der Reinigungsphase wird die Wunde durch fließendes Blut, Abwehrzellen und Wundflüssigkeit gesäubert. In der nächsten Phase, der Granulationsphase, wandern Zellen in die Wunde ein und stabilisieren sie. Die Epithelisierungsphase bildet den Abschluss - die Haut wächst über die Stelle, an der die Wunde war. Dies dauert in der Regel 10 bis 14 Tage.

Darüber hinaus sind zwei Formen der Wundheilung zu unterscheiden, die primäre und die sekundäre Wundheilung. Primär heilen alle gut durchbluteten, sauberen Wunden, bei denen die Wundränder glatt und nahe beieinander liegen. Hier kommt es wie bereits angesprochen zu keiner bis zu nur einer geringen Narbenbildung. Wunden dieser Form heilen im Normalfall innerhalb von zwei bis drei Wochen. Bei der sekundären Wundheilung benötigt die Wunde länger bis sie verheilt. Sekundär heilen vor allem chronische oder infizierte Wunden. Dabei kommt es zu einer verstärkten Bildung von Narbengewebe.

Was ist der Unterschied zwischen alltäglichen Wunden und den Wunden, die Sie im Wundzentrum behandeln?

Im Wundzentrum kümmern wir uns um chronische Wunden, die durch verschiedenste Ursachen entstehen. Die häufigsten Ursachen sind dabei arterielle Durchblutungsstörungen, chronisch venöse und lymphatische Stauungen, Krampfadern und Diabetes Mellitus. Bei Diabetespatienten können chronische Wunden unter anderem durch eine, mit der Erkrankung zusammenhängende, Polyneuropathie entstehen. Dabei liegt eine Schädigung der Nerven vor und der Patient ist in der Schmerzwahrnehmung eingeschränkt. So werden Wunden nicht rechtzeitig entdeckt und versorgt. Banale Verletzungen oder Druckstellen können sich ungestört infizieren und ausbreiten. Auch Faktoren wie Rauchen, Immunschwäche, Übergewicht, Mangelernährung und bösartige Erkrankungen lassen eine Wunde schlechter heilen.

Heilen solche Wunden jemals ab?

Vollständig abheilen können solche Wunden nur, wenn die Ursachen erkannt und behoben werden. Da dies nicht immer möglich ist, sind durchaus auch Teilerfolge ein Ziel. So kann es z.B. ein Erfolg sein, die Größe der Wunde, den Wundgeruch, die Wundsekretion oder wundbedingte Schmerzen zu reduzieren.

Wie werden chronische Wunden behandelt?

Kommt ein Patient zu uns, so wird die Wunde zuerst vermessen, gesäubert und zu Dokumentationszwecken fotografiert. Im nächsten Schritt wird Ursachenforschung betrieben. Das A und O ist es, die Ursache zu beheben. Nur so besteht die Chance, dass eine chronische Wunde heilt. Dann wird ganz individuell entschieden, ob z. B. die Durchblutung verbessert werden muss, Krampfadern operiert werden müssen, eine Kompressionstherapie einzuleiten ist, der Zucker eines Patienten eingestellt werden muss oder entsprechende Schuhe gegen Druckstellen zu verschreiben sind. Desweitern kommen moderne Wundauflagen zum Einsatz. Wundauflagen halten die Wunde feucht, schützen sie vor Keimen und nehmen das Wundsekret auf. Darüber hinaus müssen solche Auflagen schmerzfrei zu wechseln sein und dürfen keine Rückstände in der Wunde hinterlassen. Das sind Anforderungen, die an solche Wundauflagen zu stellen sind.

Info:

Im Wundzentrum arbeiten Spezialisten unterschiedlichster Fachrichtungen zusammen, z. B. Ärzte, Wundexperten, Diabetesberater, Orthopädiemechaniker und gewährleisten dadurch eine optimale Versorgung des Patienten.