Mädchen, Mitarbeiterin und Chefin für Alles
Ravensburg – Wenn man einen Menschen nach spezifischen Ereignissen oder historischen Details in der EK-Geschichte fragen möchte, ist man bei Doris Kraus auf der sicheren Seite. Klar angesichts einer Frau, die am 1. September 1977 als Sonntagsmädchen im St. Elisabethen-Klinikum angefangen hat und seither so ziemlich jede denkbare Funktion dort innehatte, von Chefärztin und Geschäftsführerin einmal abgesehen. Doris Kraus war mit vollem Herzen Intensivpflegerin und Patienten-Mutmacherin, sie war federführende Mitplanerin des Umzugs der Stationen im neuen EK, sie war Leiterin des Empfangsbereichs, am Ende auch am Westallgäu-Klinikum in Wangen und des Zentralarchivs, sie war im Krisenstab der OSK und verantwortlich für die Umsetzungen der Besucherregelung und Textung, als Corona alles auf den Kopf stellte. Sie war Mitglied der Ethik-Kommission, betreute die Grünen Damen, die den Empfang ehrenamtlich unterstützen – und sie war zu Beginn auch eine Mischung aus Tour-de-France-Teilnehmerin und Fahrradkurier.
Zumindest erhält man diesen Eindruck, wenn sie ihren Bilderschatz aus 48 Jahren OSK offenlegt. Hier sieht man Kraus und ein paar Mitschwestern, wie sie lächelnd auf einem Drahtesel durch die Klinik radeln. Was hier lustig aussieht und wie eine Frühform von betrieblicher Gesundheitsförderung, entstand in Wahrheit eher aus der Not heraus, es war zweckdienlich. „Wir hatten im alten EK im Nachtdienst fünf Stationen, zu betreuen, A bis E, die alle hintereinander auf einer Geraden lagen, 200 Meter lang, und hatten deshalb Dienstfahrräder und Roller. Alle sind mit dem Rad über den Flur gefahren, selbst die Ordensschwestern aus Reute, die die Klinik damals führten. Das ging einfach schneller. Hätten wir das nicht getan, hätten unsere Beine irgendwann ihren Geist aufgegeben“, sagt Kraus, für die der Donnerstag der letzte offizielle Arbeitstag in ihrem Leben sein wird. Die Beine haben gehalten. Mit einem großen Fest wird sich die 64-Jährige in den Ruhestand verabschieden.
Am 1. April 1980 hatte Doris Kraus angefangen, als glückliche und hochmotivierte Auszubildende aus Wolpertswende bei Mochenwangen, die nach ihrer Mittleren Reife einen von 36 Plätzen von 600 Bewerberinnen als Pflegefachkraft ergattert hatte. Ihre erste Ausbildung allerdings war es nicht: Zuvor hatte Doris Kraus Hotelfachfrau gelernt. „Ich konnte hier gutes Geld verdienen und mir dadurch etwas zurücklegen, um mir die Ausbildung zur Pflegfachkraft leisten und mir meinen Unterhalt selbst finanzieren zu können. Meine Eltern hatten einen Bauernhof, ich hatte vier Geschwister und war die Einzige, die auf die Realschule durfte. Ich wollte meinen Kopf eben durchsetzen und meinen Traumberuf Krankenschwester erlernen, aber von den 400 Mark Gehalt – 120 gingen für das Wohnheim weg – konnte man kaum leben. Deshalb brauchte ich eine finanzielle Reserve.“
Es lohnte sich. Doris Kraus fand großen Gefallen an ihrer Arbeit, auch wenn es zuweilen hart war, immer in geteilten Diensten von 6 bis 11 und von 16 bis 20 Uhr zu arbeiten und nebenher auch noch viel zu lernen. Und auch deshalb, weil sie sich selbst und ihre Rechte ab und an vergaß. „Einmal habe ich in der Ausbildung 21 Nächte am Stück gearbeitet, so lange, bis ich einfach nicht mehr konnte. Dann habe ich mich endlich getraut, bei der Schulschwester nachzufragen, wann ich denn abgelöst werde. Da stellte sich heraus: Sie hatte mich einfach vergessen“, erzählt Doris Kraus und muss lachen. „Danach habe ich immerhin zwei Tage frei bekommen.“
Als ausgebildete Pflegerin fing sie 1983 auf der chirurgischen Wachstation an – und blieb dort 28 Jahre lang. Eine Zeit, in der sie zwei Kinder gebar – nach der Geburt ihrer Tochter arbeitete sie bereits nach sechs Wochen wieder, nach ihrem Sohn setzte sie ein Jahr aus -, und eine Zeit, in der sie sechs Umzüge und Stationserweiterungen miterlebte. „Die Wachstation war der Vorläufer der heutigen Intensivüberwachung und die erste Station am EK mit einer weltlichen Leitung“, sagt Doris Kraus. Von 2000 an war sie im Leitungsteam der Station, 2003 absolvierte sie die Weiterbildung zur Ethikberaterin in Offenburg und gründete schließlich 2007 im EK den Ethikbeirat mit. Bis heute ist sie in diesem Gremium aktiv tätig und konnte somit den Kontakt zu den medizinischen Bereichen immer aufrechterhalten. „Es war eine sehr wichtige Aufgabe für mich, den Mitarbeitern, Patienten und Angehörigen in ethischen Fragen beistehen zu dürfen“, sagt Doris Kraus, die den Stationsdienst 2011 wegen eines Rückenleidens aufgeben musste. „Ich habe den Kontakt zu den Patienten unglaublich gemocht, es hat lange gedauert, bis ich loslassen konnte, aber es ging nicht anders. Meine Rücken hat nicht mehr mitgespielt.“
Langweilig wurde es Doris Kraus allerdings nicht. Die damalige Pflegeleitung holte Kraus im Zuge des Neubaus und der Umzüge des EK zu sich als Koordinatorin für die Inbetriebnahme, Infrastruktur und Einrichtung der neuen Stationen. So wurde sie Profi im Lernen und im Pläne machen, und nachdem die Großbaustelle EK abgeschlossen war, bekam Doris Kraus von der Geschäftsführung 2018 eine neue Spezialaufgabe: „Ich sollte als neue Leitung den Empfang und die Patientenaufnahme neu strukturieren, Prozesse optimieren und ein stabiles Team entwickeln.“ Die neuen Prozesse wurden allerdings bald außer Kraft gesetzt, als die Corona-Pandemie Einzug in Deutschlands Kliniken hielt. Doris Kraus fasst ihre Erfahrungen der Jahre 2020/21 knapp, aber vielsagend zusammen: „Corona war für mich die Hölle.“ Täglich habe es neue Abstimmungen, Regeln, Verbote, Auflagen, Verordnungen gegeben. „Es war eine Riesen-Belastung für mich und mein Team und natürlich auch für die Patienten und deren Angehörige.“
Eine Zeit, die sie wie all ihre Erlebnisse aus heutiger Sicht dennoch nicht missen möchte: „Wir haben das alles gemeistert, und im Rückblick kann ich sagen: Jede Herausforderung in der OSK oder auch privat hat mich auch stärker gemacht.“
Doris Kraus war ein Mädchen, eine Mitarbeiterin und am Ende auch eine Chefin für Alles, eine Ansprechpartnerin für Jeden, der eine Frage hatte und ihre Erfahrung brauchte. Sie verabschiedet sich gelassen, zufrieden, „aber natürlich auch mit ein wenig Wehmut nach so langer Zeit und so vielen tollen Kollegen“ aus ihrem Klinikleben. „Rückblickend war jede Zeit hier gut. Der Schlüssel war: Ich war Veränderungen gegenüber immer offen, habe versucht, sie zu verstehen, und habe sie deshalb auch immer mitgetragen. Ich habe hier am St. Elisabethen-Klinikum viele Schicksale erlebt, und bin deshalb umso dankbarer, dass ich gesund in den Ruhestand gehen kann.“
Geschäftsführer Franz Huber und Pflegedirektor Swen Wendt verabschieden Doris Kraus mit großem Respekt und edlen Worten für ihre jahrzehntelangen Dienste: „Die Geschäftsleitung bedankt sich ausdrücklich für die hervorragende Arbeit im Sinne der OSK und wünscht im Ruhestand viele tolle Begegnungen und Erlebnisse, vor allem aber beste Gesundheit.“