„Ich habe in jeden Kinderwagen geguckt, der mir entgegenkam“

Maria Diem, 63, arbeitet seit 45 Jahren in der Geburtshilfe der Oberschwabenklinik und ist selbst Mutter von vier Kindern

Wangen – Manche Menschen treffen ihre Berufswahl recht früh im Leben, Maria Diem, Kinderkrankenschwester am Westallgäu-Klinikum in Wangen, ist ein hervorragendes Beispiel. „Als kleines Kind hab ich von meinen Eltern ein Doktorkofferle bekommen und rund um die Uhr damit gespielt. Ich wusste früh: Ich möchte mal im Krankenhaus arbeiten“, erzählt die 63-Jährige, die aus Bonlanden bei Berkheim stammt. Was sie in einer Klinik tun könnte, wurde ihr auch zügig klar: „Ich wollte Säuglingskrankenschwester werden, ein bisschen war ich das ja schon. Viele Jahre lang habe ich nach der Schule bei unseren Nachbarn als Kindsmagd gearbeitet, hab die Kinder gewickelt, mit ihnen gespielt, und auf alle vier aufgepasst, wenn die Eltern weg waren oder zum Tanzen gingen. Als die Mutter beim letzten Kind vorzeitige Wehen hatte, habe ich in den Ferien mit ihrem Mann sogar den Haushalt übernommen. Da war ich 16. Besonders kleine Kinder haben mich schon immer fasziniert: Ich habe in jeden Kinderwagen reingeguckt, der mir entgegenkam.“

 

Der Weg nach ihrem Realschulabschluss war somit vorgezeichnet. Nach ihrem regelmäßigen Sonntagsdienst im Krankenhaus Memmingen und einem einjährigen Sozialdienst, den Maria in der damaligen Klinik in Ochsenhausen ableistete, liebäugelte die nun 18-Jährige zwar kurz damit, Erzieherin in werden, doch dazu fehlte ihr etwas Entscheidendes. „Ich konnte kein Instrument spielen, das war damals eine wichtige Voraussetzung.“ Also entschied sich Diem für die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg – und konnte stolz sein, dass die Franziskanerinnen vom Kloster Reute, die damals das EK leiteten, ihr zusagten. „Das war nicht einfach. Auf eine Stelle kamen damals 25 Bewerberinnen. Man wurde nur genommen, wenn man sehr gute Noten hatte und christlich war. Auch auf ein gepflegtes Äußeres wurde geachtet, und auf die Herkunft, dass Vater und Mutter ordentliche Leute waren.“

 

Die Zeit der Ausbildung wird Maria Diem nie vergessen. „Wir waren eine tolle Clique, acht junge Mädchen, alle zum ersten Mal von zuhause weg. Wir lebten alle im Wohnheim, haben zusammen gelernt und zusammen gelacht. Abends waren wir oft beim Tanzen, bei den Romanas und Earlybirds, die damals in den Wirtschaften der umliegenden Dörfer spielten, und noch heute, 45 Jahre später, treffen wir uns regelmäßig zum Wellness.“

 

Die Arbeit allerdings war hart, härter als heutzutage. Zehn Nachtdienste am Stück gefolgt von fünf freien Tagen waren keine Seltenheit. „Wir hatten als Schülerinnen bis zu 20 Säuglinge auf der Station zu betreuen. Natürlich war auf der Nachbarstation immer eine gelernte Schwester, die man im Zweifel hätte ansprechen können, aber vor lauter Arbeit kam man gar nicht dazu“, sagt Maria Diem. Zur Ausbildung gehörte damals auch, einmal wöchentlich die Böden der Kinderzimmer zu schrubben – mit Schmierseife und Handbürste. „Aber vieles war ich von zuhause gewohnt: Meine Eltern hatten einen Hof und eine Schreinerei, da mussten wir Kinder viel mithelfen. In den Urlaub gefahren sind wir nie, einmal im Jahr gab es einen Familienausflug.“

 

Maria Diem lernte früh, dass man hart arbeiten muss, um zu (über)leben, ihr Glaube half ihr dabei. „Fast alle von uns waren sehr christlich geprägt, wir sind auch zusammen in den Gottesdienst.“ Noch heute bete sie regelmäßig um Beistand von oben, sie weiß: „Es liegt nie alles allein in unserer Hand.“ Als sie ihren Beruf begann, seien Verantwortung und Druck noch größer gewesen, vor allem in der Nacht. „Alle Babys waren in unserer Obhut, man war ständig am Beobachten und Kontrollieren. Heute schlafen die Säuglinge ja bei ihren Müttern, die eine gewisse Mitverantwortung haben, auch wenn wir regelmäßig nach den Kindern schauen.“

 

Prinzipiell habe der Beruf einen großen Wandel erlebt, eines aber sei gleich geblieben. „In der Pflege betreut man Menschen, spricht mit Menschen, arbeitet mit Menschen, und das erfüllt mich. Die Liebe oder Freundlichkeit, die man schenkt, kommt hier oftmals zurück“, sagt Maria Diem. „Ich könnte nie von morgens bis abends an einem Computer sitzen, und bin auch dankbar, dass meine Familie mich dabei unterstützt hat, dass ich wieder meinem Beruf nachgehen kann.“

 

Selbstverständlich war das nicht, denn Maria Diem heiratete kurz nach der Ausbildung einen Landwirt aus Niederwangen, den sie beim Tanzen im Sternensaal in Reute kennengelernt hatte, und brachte im Lauf der Zeit vier Kinder auf die Welt. Nach dem zweiten blieb sie fünf Jahre zuhause, 1989 feierte sie am Westallgäu-Klinikum ihr Comeback. „Ich wollte wieder arbeiten, einen Ausgleich haben zu Kindern und Hof, etwas anderes sehen“, sagt Diem. „Alles unter einen Hut zu bringen war anstrengend, aber wenn man jung ist, dann schafft man viel.“ Und weil ihr der Beruf Spaß machte und sie ohnehin regelmäßig für erkrankte Kolleginnen einsprang, stockte sie irgendwann auf 50 Prozent auf, statt Überstunden anzusammeln.

 

Das Leben für die Kinder hat sich gelohnt für Maria Diem, es kam viel zurück: „Unsere Geburtshilfe in Wangen bekommt viele positive Rückmeldungen. Es ist ein wunderbarer Beruf, den ich nie bereut habe. Wenn eine Mutter nach der Geburt gesund entlassen wird, alles rund lief, das Stillen klappt, dann macht dich das einfach glücklich. Auch die Babys mögen mich anscheinend: Wenn ich sie auf den Arm nehme, werden sie meist still. Ich glaube, ich bin gut im Trösten“, sagt Maria Diem und fügt an: „Ich wäre nicht seit 45 Jahren an der OSK, wenn es mir hier nicht gefallen würde.“ Die Stationsälteste ist eine große Fürsprecherin einer sanften Geburt, für die das Westallgäu-Klinikum steht. „In Wangen haben wir noch die Zeit, den Frauen zu helfen, ihnen geduldig zu zeigen, wie man ein Kind anlegt, und auch die Zeit, um ihnen seelisch zu helfen. Für manche Frau ist eine Geburt ja zunächst mal ein Schock durch die Schmerzen, die sagen, auf keinen Fall ein zweites Kind. Da ist dann oft Gesprächsbedarf da. Wir sind ein familiäres Haus mit einigen Kolleginnen mit großer Erfahrung, die wissen, wovon sie reden.“

 

Maria Diem hat ihre Kenntnisse und ihre Leidenschaft auch an ihre Familie weitergegeben. „Zwei meiner Töchter haben die Pflegeausbildung absolviert. Da hatte die Mama offenbar einen guten Einfluss“, sagt sie. Und womöglich werden noch weitere Ahnen in ihre Fußstapfen treten, inzwischen hat sie fünf Enkel. Eine Großmutter, die allerdings noch lange nicht genug hat von Kindern: „Ich habe zwar schon 45 Jahre gearbeitet, aber ich möchte im nächsten Jahr noch zu 30 Prozent weiterzumachen. Ganz auf die Arbeit zu verzichten, das würde mir schwer fallen.“

 

Auch Lisa Malmer wäre traurig darüber: „Mich als Stationsleitung freut es sehr, eine Mitarbeiterin zu haben, die nach so vielen Jahren noch mit so viel Freude und Motivation zur Arbeit kommt“, sagt Malmer. „Maria Diem ist ein Unikat bei uns. Ihre offene, freundliche und hilfsbereite Art wird im Team sehr geschätzt. Sie bringt ihre jahrelangen Erfahrungen mit ein. Auch Ausflüge oder Weihnachtsfeiern für Station organisiert sie sehr gerne und ist auch immer mit dabei. Wir freuen uns auf viele weitere Jahre mit ihr im Team.“