Endometriose: „Wir brauchen noch mehr Mitstreiter und mehr Bewusstsein für die Krankheit“

Beim Endometriose-Talk erklären die OSK-Ärzte ihre passgenauen Behandlungsmethoden 

Ravensburg - Jede sechste Frau mit andauernden Unterbauchschmerzen leidet an Endometriose, einer chronischen Krankheit, die zwischen der Pubertät und den Wechseljahren auftritt und während der Periode zumeist besonders quälend ist. Gewebewucherungen, die der Gebärmutterschleimhaut ähneln, können den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehen. Wie belastend es ist, regelmäßig Unterleibsschmerzen zu haben, Krämpfe, Übelkeit, auch Kopfschmerzen, konnte man kürzlich auch an der enormen Resonanz beim Informationstalk über Endometriose am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg sehen. Gleich achtzig Frauen – und immerhin zwei Partner – waren am Weltfrauentag zugegen und nahmen die Gelegenheit wahr, mit Frauenklinik-Chefärztin Dr. Martina Gropp-Meier, dem Leitenden Oberarzt Dr. Marius Raiber und Oberarzt Dr. Philipp Guttenberg eine Art öffentliche Privatsprechstunde abzuhalten. 

Die Chance musste offenbar genutzt werden, denn: Endometriose mag zwar eine (weibliche) Volkskrankheit sein, ärztliche Spezialisten, eine präzise Diagnose und passgenaue Behandlungen aber gibt es noch viel zu wenig. Dr. Guttenberg, Leiter der ein Jahr jungen Endometriose-Sprechstunde am EK, berichtete: „Unsere Sprechstunde boomt. Wir haben so viele Patientinnen, dass die Wartezeit für einen Termin inzwischen sechs Monate beträgt. Das klingt nach viel, im Schnitt allerdings warten Frauen in Deutschland zwölf bis 18 Monate. Es gibt eine große Unterversorgung und sicher in Teilen immer noch ein fehlendes Bewusstsein für diese Krankheit, aber das möchten wir ändern.“ 

Exakt aus diesem Grund, um die Kollegen und niedergelassenen Frauenärzte zu schulen und Mitstreiter für den Kampf gegen die Krankheit zu gewinnen, hatte die Frauenklinik in den acht Stunden zuvor auch ihr erstes wissenschaftliches Endometriose-Symposion veranstaltet mit mehr als 100 Teilnehmerinnen und gleich 19 hochkarätigen Referenten, zwei davon sogar aus dem fernen Wien und Tirol.

Die Gastexpertin beim Talk am Abend dagegen kam aus dem nahen Tettnang. Svenja Boch, 26 Jahre jung, erzählte von ihrem langen Kampf gegen die Krankheit. Sehr sicher bereits mit elf Jahren habe die Endometriose bei ihr begonnen, sagte Boch. „Ich hatte krasse Regelschmerzen, vielleicht genetisch bedingt, meine Mutter hatte das auch, sie schickte mich schnell zu einem Gynäkologen. Aber der sagte nur: Nehmen Sie die Pille. Besser wurde es dadurch kaum.“

Svenja Boch hatte einen 14-jährigen Leidensweg, Besuche bei sieben Gynäkologen und diverse Abstriche, Urinuntersuchungen, einen vaginalen Ultraschall und das zähe Ausprobieren zahlloser Medikamente hinter sich, ehe sie schließlich bei Dr. Guttenberg landete. „Zur Arbeit habe ich mich manchmal nur noch gequält. Eine Wärmflasche war das ganze Jahr über meine ständige Begleiterin, um irgendwie den Alltag zu meistern.“ Zwei Operationen später, bei denen die Gewebewucherungen entfernt wurden, hat sie endlich Linderung von ihrer Krankheit erfahren. 

„Bei Endometriose können alle Symptome auftreten und mit dabei sein, das macht die Krankheit so unangenehm und unberechenbar, und darum wird sie häufig sehr spät oder nicht richtig diagnostiziert“, erläuterte Chefärztin Dr. Gropp-Meier. „Viele betroffene Frauen hoffen, dass sich das mit den Jahren auswächst, tut es aber nicht immer. In vielen Fällen braucht es auch eine hormonelle Therapie.“ Zunächst sei eine exakte Untersuchung und Diagnose erforderlich, dann eine individuelle Therapie, wie sie die Endometriose-Sprechstunde am EK anbiete.

„Viele Frauen sind extrem erleichtert, wenn sie zumeist nach jahrelangem Suchen die Bestätigung haben, dass sie an Endometriose leiden“, fügte Dr. Guttenberg an. Das Vorgehen in seiner Sprechstunde sei hochstandardisiert: „Die Patientinnen kommen mit ausgefüllten Fragebögen zu uns, es folgt ein ausführliches Gespräch, dann gründliche gynäkologische Untersuchungen: Spekulum-Untersuchung, sorgfältiges Abtasten von Scheide und Enddarm, dann ein ausführlicher Ultraschall aller Organe im weiblichen Becken von der Gebärmutter über die Eileiter, Eierstöcke bis hin zu Blase und Darm sowie ein Ultraschall der Nieren, bei Bedarf auch eine Bauchspiegelung. Die Befunde und der Therapieansatz werden danach ausführlich mit der Patientin besprochen.“

Die medikamentöse oder operative Behandlung, bei der die Gewebeherde aus dem Körper entfernt werden, stehen dabei nicht am Anfang. Die Therapie der Endometriose sei eine Stufentherapie, betont Dr. Guttenberg, „auf deren unterster Stufe integrative Verfahren wie Ernährungsumstellung, körperliche Betätigung, Hatha-Yoga, Osteopathie, Akkupunktur und TCM stehen. Aufbauend darauf kann eine hormonelle Langzyklustherapie mit Gestagenen notwendig sein, um den weiblichen Zyklus und die damit wiederkehrenden Endometriose-Beschwerden in den Griff zu bekommen. Eine Operation ist dann sinnvoll, wenn der unerfüllte Kinderwunsch im Vordergrund steht, Patientinnen die Einnahme von Hormonen ablehnen oder unter den hormonellen Therapien keine Besserung zu erreichen ist.“

Tückisch dabei: Die Endometriose gilt als Chamäleon, auch eine MRT-Untersuchung kann notwendig sein, denn Gewebewucherungen können nicht nur bis zur Bauchdecke- und Bauchfell, Darm, Harnleiter oder Zwerchfell vordringen, sondern auch Lunge und Gehirn befallen. „Hier liegen wir allerdings statistisch im Promillebereich“, sagt Dr. Guttenberg, der am EK wie auch die Operateure Dr. Raiber und Dr. Marius Muresan zumeist laparoskopisch und in sehr schweren Fällen auch mit dem robotergesteuerten DaVinci-System operiert. 

Geduld braucht, wer die optimale medikamentöse Behandlung anstrebt. Dr. Raiber referierte über die Liste an möglichen Pharmaka – der Klassiker ist Dienogest -, einige davon können allerdings unangenehme Nebenwirkungen haben. Die so genannte Minipille eigne sich prinzipiell gut als Therapie. Problem: Sie ist offiziell nicht zur Endometriose-Behandlung zugelassen, wird also von den Kassen nicht bezahlt.

Grundsätzlich, führte Dr. Guttenberg aus, helfe immer auch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten. Eine Umstellung auf mediterrane Ernährung, Yoga respektive Meditation, Ausdauersport, TCM-Therapie oder auch Akkupunktur empfiehlt der Oberarzt zur Komplementärmedizin, in Zusammenarbeit mit der Sinova-Klinik bietet die OSK auch Gespräche mit Psychologen an. Vor allem bei unerfüllten Kinderwünschen – ein Viertel der Patientinnen sind davon betroffen – sei dies empfehlenswert. „Wer an Endometriose leidet und deshalb keine oder nur schwer Kinder bekommen kann, hat psychisch oft eine enorme Belastung, die man nicht unter den Tisch kehren sollte.“ Auch der Besuch von Selbsthilfegruppen – die nächste ist in Friedrichshafen – helfe vielen Patientinnen.

Die theoretisch beste Therapie, sagte Dr. Guttenberg am Ende noch mit einem Augenzwinkern, wäre übrigens die Schwangerschaft. Durch die körpereigene, massive Hormon-Umstellung werde das Wachstum der Gewebewucherungen gestoppt, die Schmerzen verschwinden. „Eigentlich sollten wir unseren Patientinnen empfehlen, pausenlos Kinder zu bekommen“, erklärte der Endometriose-Experte. „Aber wir wissen inzwischen: Es gibt auch andere Lösungen.“