Eine Kinderkrankenschwester mit Leib und Seele

Zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai: Marlies Klob, 63, arbeitet seit 46 Jahren in der Kinderklinik in Ravensburg

Marlies Klob früher: So sahen Krankenschwestern im Jahre 1979 aus.

Marlies Klob früher: So sahen Krankenschwestern im Jahre 1979 aus.

Ravensburg – Vor 46 Jahren begann Marlies Klob aus Waldburg ihre Ausbildung im Kinderkrankenhaus St. Nikolaus in Ravensburg, das heute zum St. Elisabethen-Klinikum gehört. Es war in vielerlei Hinsicht eine andere Zeit. Pflegefachkräfte mit Schwerpunkt Pädiatrie hießen damals einfach nur Kinderkrankenschwestern, sie trugen weder Kasak noch Hose, sondern hellblaue oder hellgrüne Kleider mit weißer Schürze, und das Krankenhaus in Ravensburg wurde noch von den Franziskanerinnen von Reute geführt.

 

Der Pflegeberuf war heiß begehrt damals. Auf 25 Ausbildungsplätze kamen 500 Bewerber, wer Chancen haben wollte, musste Vorerfahrungen haben - als Sonntagsmädchen, Haushaltshilfe im Krankenhaus, Pflegeheim oder anderen sozialen Einrichtungen, bestenfalls im Kloster selbst.

 

Marlies Klob hatte zu ihrem Glück eine Fürsprecherin in Reute. „Mir war früh klar, dass ich Kinderkrankenschwester oder Erzieherin werden wollte“, sagt die gebürtige Leutkircherin. „Ich wuchs in einem Dorf mit 150 Menschen auf, und alle, die jünger waren als ich, waren stets um mich herum. Meine Mutter sagte immer: Wenn man dich sucht, muss man bloß gucka, wo viele Kinder rumspringet.“ Dass sie die Ausbildung in Ravensburg bekommen habe, sei „fast wie ein Sechser im Lotto“ gewesen. „Die Nachfrage war unglaublich. Damals war die Anerkennung für diesen Beruf in der Gesellschaft noch viel höher. Es war eine Zeit, in der nicht jeder junge Mensch zwingend Abitur und Studium haben musste, obwohl er vielleicht andere Talente hat, lieber etwas mit den Händen und Menschen macht. Anderen zu helfen, bei der Heilung zu unterstützen, auch das Handwerk an sich, war damals sehr angesehen. Ich hoffe, das kommt wieder, wir brauchen diesen Gegentrend, auch in den Kliniken, vielleicht auch über die Wiedereinführung eines sozialen Pflichtjahres.“

 

Die heute 63-Jährige, die seither Tausende verletzte und erkrankte Kinder zwischen sechs und 18 Jahren am EK betreut hat, mochte ihren Beruf vom ersten Tag an, „weil er meine Berufung ist. Ich mache das mit Leib und Seele, einfach, weil ich Kinder liebe, vor allem ihre Spontanität, ihre Ehrlichkeit“, sagt sie. „Kinder sind liebenswürdig und liebesfähig, einfach unschuldig und noch unbeeinflusst von dieser Welt. Sie sind noch biegsam, das bedeutet: Wenn man ihnen Dinge auf Augenhöhe erklärt, sich in sie hineinversetzt, kann man ihnen auch mal einen neuen Weg zeigen, ein neues Verhalten, und ihnen vor allem die Angst vor Krankheiten nehmen. Wenn du Kindern erklärst, warum sie die Tablette nehmen müssen, warum sie sich gerade schlecht fühlen, warum sie die Spritze brauchen, warum sie Schmerzen haben, wenn du da bist für alle ihre Gefühle und ihnen Hoffnung machst, dann kannst du ihnen auch helfen - egal, welche Erkrankung sie haben. Es geht um Vertrauen. Wenn man das zu Ende denkt, ist die Pflege bei Erwachsenen nicht anders – nur, dass sie einen Schutzmantel aufgebaut haben.“

 

Für elf Jahre wechselte Marlies Klob zwischendurch ihre Tätigkeit – sie wurde selbst Praxislehrerin in der damaligen Kinderkrankenpflegeschule und unterrichtete die Auszubildenden zum Beispiel in Fragen wie: Wie lege ich eine Magensonde? Wie mache ich einen Druckverband? Wie bereite ich ein Bett auf? Wie positioniere ich ein Kleinkind im Bett zum Essen? Wie wasche ich einen Säugling, ein Kleinkind oder ein Schulkind? „Mein Wissen zu teilen, hat mir viel Spaß gemacht, auch hier habe ich viel Wertschätzung erfahren“, sagt Marlies Klob. Als die Lehre akademisiert wurde und in die neu gegründete Gesundheitsakademie integriert wurde, ging sie wieder zurück in ihren alten Job –in Teilzeit, ohne Führungsverantwortung, weil sie gleich zwei Pflegeaufgaben in der eigenen Familie übernahm. „Mit 50 Prozent als Stationsleiterin oder Stellvertreterin zu arbeiten, wäre der Aufgabe nicht gerecht geworden. Mehr zu arbeiten, wäre wiederum für mich zu viel geworden. Ich musste auf mich selbst schauen – gerade wir Pflegekräfte sollten darauf achten, dass Selbstpflege nicht zu kurz kommt, wir uns Zeit für uns nehmen. Die Oberschwabenklinik und unsere Stationsleiterin Regina Borsutzky kamen mir sehr entgegen, gerade, als ich merkte, dass ich nach Nachtwachen nicht mehr schlafen kann. Sie sagte: Ab einem gewissen Alter muss man hier keine Nachtdienste mehr machen.“

 

Dass Marlies Klob ihre Arbeit noch keinen Tag bereut hätte, wäre eine Lüge. „Gleich in meiner ersten Nachtwache nach dem Examen, ich war 20, lag ein zweijähriges Kind tot im Bett. Ich konnte es nicht begreifen, war tief erschüttert und bin in Tränen ausgebrochen. Ich dachte, ich müsste meinen Beruf sofort an den Nagel hängen, dachte, dass ich versagt hätte.“

 

Der Glaube an sich, die Kolleginnen, die sie unterstützten, die Sinnhaftigkeit ihres Berufs und an Gott halfen ihr dabei, nach einigen Tagen in die Klinik zurückzukehren, weiterzumachen. Und die Erkenntnis, dass der Junge ohne Chance war. Laut Ärzten starb er an Herzversagen, er hatte eine Stoffwechselstörung, eine Herzverfettung, er wog 32 Kilo und konnte nicht frei sitzen. „Ich war machtlos, ich hätte nichts tun können“, sagt Marlies Klob. „Und doch ist es unbegreiflich: Wenn ein Kind vor seinen Eltern gehen muss, ist das gegen die Natur, wird die Reihenfolge nicht eingehalten. Es ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann, und auch das Schlimmste für eine Krankenschwester.“

 

Marlies Klob bewältigte das Leid, sie hielt ihre Hoffnung aufrecht, auch, als sich ihr eigener Kinderwunsch nicht erfüllte. „Das war sehr schmerzhaft, aber es sollte offenbar nicht sein“, sagt sie. „Gott hatte einen anderen Plan. Ich habe inzwischen zwei Ersatzenkel befreundeter Eltern, die weder Oma noch Opa haben. Und ich freue mich über vier Patenkinder und sechs Großnichten und Großneffen. Die Patenkinder sagten mir: Gotti, weil du keine eigenen Kinder hast, darfst du unsere mit aufziehen. Eines sagt längst Oma zu mir, ich betreue es seit dem Säuglingsalter. Die Mama sagte, sie hätte hundertprozentiges Vertrauen zu mir. Das ist der Vorteil, wenn man Kinderkrankenschwester ist.“

 

Und weil sie den Beruf vermissen würde, will Marlies Klob nach ihrem offiziellen Renteneintritt auch weiterarbeiten. „Die Kinder würden mir fehlen, sie geben einem extrem viel zurück. Es gibt nichts Schöneres, als wenn erkrankte Kinder, die einem ans Herz gewachsen sind, wieder gesund heimgehen oder gelernt haben, mit ihrer chronischen Krankheit umzugehen – und wenn man dann positive Rückmeldungen bekommt. Natürlich ist die Dokumentation in der Pflege heute aufwendiger, was an der kürzeren Liegedauer der Patienten liegt. Auch der Umgang mit manchen Angehörigen ist anstrengender geworden, da heute fast alle Mütter berufstätig sind und selbst unter Druck stehen, wenn ihr Kind im Krankenhaus liegt. Dennoch würde ich diesen Beruf jederzeit wiedermachen, ich kann ihn nur weiterempfehlen.“

Swen Wendt, Pflegedirektor der OSK, hört es gerne. „Lebensberichte wie diese zeigen, dass die Arbeit in der Pflege Sinn macht und Erfüllung gibt. Pflegekräfte werden gebraucht, diese Arbeit von Menschen für Menschen verlangt Knowhow und Empathie und kann eben nicht durch KI ersetzt werden. Sie ist krisenresistent und zukunftssicher, darum spüren wir seit zwei Jahren auch wieder Zulauf. Und gerade auf die Erfahrung dieser langgedienten OSK-Mitarbeiterinnen können wir nicht verzichten. Deshalb möchten wir Pflegekräfte, die bereits Rentenanspruch haben, halten und ihnen flexibel entgegenkommen in punkto Arbeitszeit und Gesundheitsförderung. Wir brauchen diese Lebenserfahrung im Krankenhaus, sie ist unersetzbar.“