„Du willst das, du kannst das, du schaffst das!“ - die Syrerin Sivghol Bilal hat in Ravensburg den Anerkennungskurs bestanden

Die Syrerin Sivghol Bilal hat am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg den Anerkennungskurs zur Pflegefachfrau bestanden

 

Ravensburg – „Ich wollte unbedingt arbeiten in Deutschland und nicht nur Hausfrau sein. Ich habe doch eine Ausbildung gemacht, habe als Pflegekraft gearbeitet, war sogar stellvertretende Stationsleiterin. Ich wusste, ich kann den Job“, sagt Sivghol Bilal.

 

Doch bis Berufsabschlüsse in Deutschland anerkannt werden, ist es zuweilen ein steiniger Weg. Und es war auch kein leichter Weg für sie. An manchen Tagen ihres 15 Monate dauernden Anerkennungskurses war die Syrerin sogar den Tränen nahe. Deutsch war nach ihrer Muttersprache kurdisch, arabisch und englisch die vierte Sprache, die die 39-Jährige lernen musste, und es war die komplizierteste: Nicht nur die Grammatik, auch die medizinischen Fachbegriffe, zumeist auf Latein, kosteten sie Nerven. Belastend war auch der Druck, den sie sich vor allem selbst machte: verstehen zu müssen, funktionieren zu müssen. Und dann? Wurde sie von empathischen Kolleginnen immer wieder aufgefangen. „Ingrid Schlay, die Stationsleiterin der A31, war wirklich wunderbar zu mir und hat mir Mut gemacht, meine beste Freundin in Deutschland war auch für mich da. Beide waren immer positiv, sie sagten mir: Du hast einen Beruf, der in Deutschland gebraucht wird, hier fehlen die Fachkräfte. Du willst das, du kannst das, du schaffst das auch! Wir sind Frauen, wir sind doch nicht schwächer als die Männer. Sie haben mir so viel Energie und so viel Glauben gegeben.“

 

So viel, dass Sivghol Bilal heute in der Kardiologie des St. Elisabethen-Klinikums in Ravensburg steht und aus ganzem Herzen aufatmen kann. Seit ein paar Monaten ist sie anerkannte Pflegefachfrau, sie arbeitet nun im kardiologischen Funktionsbereich, schreibt EKGs und Echogramme, meldet die Patienten an. Und sie hat ihre pflegerische Kompetenz, die sie in ihrer zweijährigen Ausbildung an der größten syrischen Herzklinik in Aleppo erworben hatte, beim Durchlaufen von sechs verschiedenen Abteilungen im St. Elisabethen-Klinikum noch verfeinert und vergrößert. Natürlich habe ihr in harten Momenten auch der Gedanke an ihre Familie geholfen, sagt Sivghol Bilal. „Wir haben schon so viel miteinander durchgemacht und so viel geschafft, dass ich fest daran geglaubt habe, dass ich auch das hinbekomme.“

 

Vor zehn Jahren, als der verheerende Krieg in ihrer Heimat auch Aleppo erreicht hatte, wo sie lebten und arbeiteten, beschlossen Sivghol Bilal und ihr Mann, die aus einem Dorf nahe der türkischen Grenze stammen, aus Syrien zu fliehen. Die Mutter kämpfte sich zunächst ohne ihren Mann mit ihren zwei kleinen Kindern nach Deutschland durch, er kam einen Monat später nach. „Alles, was wir wollten, war ein sicheres Leben“, sagt Sivghol Bilal. „Anfangs hörten wir nur in den Medien von dem Krieg, dann kam er immer näher, plötzlich war er da. Wenn du jeden Tag Angst haben musst, dass Bomben deine Kinder treffen, wenn du miterleben musst, wie das ganze Leben, das du bisher hattest, plötzlich zerstört wird… Wenn du nicht mehr zur Arbeit kannst, weil überall Gefahren lauern und Straßensperren sind, dann willst du nur noch weg. Wir träumten davon, uns hier in Deutschland wieder etwas aufzubauen, und das haben wir geschafft. Mein Mann arbeitet jetzt als Barbier in einem Friseursalon, ich bei der OSK, und unsere Kinder sind in der Schule bestens integriert. Dass uns Deutschland das ermöglicht hat, werden wir nie vergessen.“

Die ersten Schritte waren allerdings schwer. Zunächst landeten die Bilals in einem Flüchtlingsheim in Karlsruhe, zwei Monate später in Eriskirch am Bodensee, wo sie fünf Monate lang mit anderen Asylsuchenden in einer Turnhalle lebten. Eine Lehrerin, die sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge kümmerte, nahm sich Sivghol Bilal an. Sie brachte der Familie die wichtigsten deutschen Worte und Sätze bei - einen offiziellen Sprachkurs bekamen sie erst ein Jahr später -, und vermittelte ihr eine eigene Wohnung in Friedrichshafen. Sivghol Bilal bestand relativ schnell den B1-Sprachtest, bekam dann ihr drittes Kind, legte während des Mutterschutzes in einem Onlinekurs die für die Pflege notwendige B2-Prüfung ab und wollte sich nun um die Anerkennung ihrer Ausbildung kümmern. Zuerst machte ihr allerdings die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung, später fand sie lange keinen Arbeitgeber, die ihr den Anerkennungskurs auch als Teilzeitkraft ermöglichte. Bis sie auf Christopher de Silva traf, der als Leitung Prozess- und Pflegemanagement für Anerkennungsverfahren internationaler Mitarbeiter bei der Oberschwabenklinik zuständig ist. „Er hat mir gleich gesagt, dass ich in Ravensburg auch als Mutter und Teilzeitkraft willkommen bin, dass ich nicht unbedingt die sechsmonatige Schulausbildung machen muss, sondern auch das Anerkennungsverfahren in der Praxis absolvieren kann, das bei mir wegen der Kinderbetreuung von elf auf 15 Monate verlängert wurde. Ich bin der OSK wirklich dankbar, dass sie mich mit offenen Armen aufgenommen hat.“

 

Natürlich war der Anerkennungskurs – neben Sivghol Bilal bestanden in diesem Jahr alle zwölf weiteren Teilnehmer die Prüfung – eine Win-win-Situation, auch für die Klinik. Deutschland braucht ausgebildete Pflegekräfte aus dem Ausland, um Renteneintritte und gleichzeitig steigende Patientenzahlen auszugleichen – zwei Faktoren, die sich in den kommenden Jahren noch verstärken werden. Bei der OSK sind es 25 internationale Pflegekräfte, die im nächsten Jahrzehnt jährlich hinzukommen müssen, um den Status Quo zu halten, hat Pflegedirektor Swen Wendt errechnet.

 

Für Sivghol Bilal, die mit ihrer Familie inzwischen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis hat, ist dieser Bedarf in mehrerer Hinsicht ein Gewinn. Sie wollte in ihrer neuen Heimat unbedingt in ihrem alten Beruf weiterarbeiten und versucht jetzt, eine Art Vorbild zu sein, Werbung für ihren Weg zu machen: „Ich habe hier viele Bekannte aus meiner Heimat aus dem Pflegebereich, die in Deutschland inzwischen andere Jobs machen und sich die Arbeit in einer Klinik nicht zutrauen, vor allem wegen der Sprache. Ich versuche immer, ihnen die Angst zu nehmen und ihnen gut zuzureden. Aber wer weiß: Vielleicht wird ja meine Nichte Pflegefachfrau. Ich werde alles tun, um sie davon zu überzeugen.“