Wir können die Strahlungsmenge genau dosieren

Diplom-Physiker Ulrich Beyer im Interview zur heilenden Wirkung von Strahlen und zum Strahlenschutz

Weshalb haben Strahlen eine heilende Wirkung?

Beyer: Unter einer Strahlenquelle versteht man meist ein radioaktives Präparat, d.h. Materie zerfällt unter Aussendung energiereicher radioaktiver Strahlung. Ein Linearbeschleuniger Die Strahlung zerstört die Erbinformation (DNA) der Tumorzellen. Ohne diese Erbinformation kann sich die Tumorzelle nicht weiter teilen und geht zugrunde. Der Tumor kann nicht weiter wachsen und schmilzt im besten Fall ein.

Welche Quellen strahlen in einer Strahlentherapie?

Beyer: Dies  funktioniert nach einem anderen Prinzip. In einem Linearbeschleuniger werden Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dann abrupt abgebremst. Bei diesem Prozess entsteht die Strahlung mit welcher wir Patienten behandeln.

Warum ist die Strahlung nicht so gefährlich wie bei Tschernobyl oder Fukushima?

Beyer: Bei diesen Unglücken wurden die Opfer einer unkontrollierten radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Wir wissen genau wie strahlensensibel ein Mensch ist. Wir können die notwendige Strahlungsmenge genau dosieren um einen Tumor zu zerstören. Wir schonen aber das umliegende gesunde Gewebe, was die Nebenwirkungsrate sehr gering ausfallen lässt.

Wie schaffen Sie es, dass nur genau jene Stelle bestrahlt wird, auf die es ankommt?

Beyer: Die Verteilung der Strahlung im menschlichen Körper kann mit Computern berechnet werden. Durch eine Variation von Einstrahlrichtungen, Feldformen und Gewichtungen kann ich eine optimale Dosisverteilung im Tumor bei bestmöglicher Schonung des umliegenden Gewebes erreichen. Die mechanische Genauigkeit des neuen Beschleunigers liegt bei ca. 1 mm. Die Herausforderung besteht darin den Patienten mit der gleichen Präzision zu lagern. Der Beschleuniger ist mit einem Computertomografen ausgestattet, mit dessen Hilfe vor der eigentlichen Bestrahlung eine Lagekontrolle des Patienten mit 3d gestützter Bildgebung durchgeführt wird. Abweichungen von der definierten Lage können millimetergenau ausgeglichen werden.

Besteht denn für Mitarbeiter der Strahlentherapie keine Gefahr, dass sie auf Dauer eine zu starke Strahlendosis erwischen?

Beyer: Nein. Der bauliche Strahlenschutz der Anlage ist so ausgelegt, dass die vom Gesetz geforderten Grenzwerte eingehalten werden. Die Zugangstür zum Beschleunigerraum wiegt z. B. 26 Tonnen. Zu dem befindet sich das Personal während der Bestrahlung außerhalb vom Behandlungsraum. Der Patient wird mit Kameras und Mikrofonen überwacht.

Weshalb lässt es sich in direkter Nachbarschaft einer Strahlentherapie unbesorgt wohnen?

Beyer: Hier gilt das gleiche. Die notwendigen Wandstärken wurden exakt ermittelt. Ein unabhängiger Sachverständiger hat im Außenbereich nachgemessen, ob der bauliche Strahlenschutz mit den berechneten Werten übereinstimmt. Ohne diesen Nachweis würden wir gar keine Umgangsgenehmigung durch das Regierungspräsidium Tübingen erhalten.

Welche Besonderheiten sind beim Bau einer Strahlentherapie zu beachten?

Beyer: Aufgrund der hohen Masse der Wände und der Decke ist die Statik von besonderer Bedeutung. Die Masse musste entsprechend stabilisiert werden und das Fundament so gestaltet, dass das Gebäude absolut sicher steht. Durch die spezielle Hanglage musste auch die Entwässerung hinreichend berücksichtigt werden.

Neben den Ärzten arbeiten in der Strahlentherapie des St. Elisabethen-Klinikums auch drei Physiker. Sie sind einer davon. Welche Aufgaben haben Sie im täglichen Betrieb?

Beyer: Der Physiker im Klinikum ist ein relativ unbekanntes Berufsbild. Momentan bin ich dabei den neuen Linearbeschleuniger einzumessen, d.h. das physikalische Verhalten des Linearbeschleunigers wird in Computermodelle eingebracht, die es ermöglichen die Verteilung der Strahlung im Patienten exakt zu berechnen. Die Berechnung dieser Verteilung ist neben den Qualitätssicherungsmaßnahmen, eine meiner hauptsächlichen Aufgaben. Des Weiteren bin ich in der Fort- und Weiterbildung zum Thema Strahlenschutz tätig sowie für alle weiteren Belange, die zu diesem Thema gehören, z.B. Umgangsgenehmigungen oder Nuklearmedizinische Diagnostik.