Prof. Franz Maurer hat das EK als führendes Haus der Unfallchirurgie geprägt

„Der Chef steht noch im OP. Es kann dauern.“ Viele Male hat man die Auskunft der Sekretärin schon gehört. Auch jetzt, da es um den Interview zum Abschied geht. Prof. Dr. Franz Maurer ist Arzt und Operateur durch und durch. Feierabend ist, wenn auch der letzte Patient des Tages versorgt ist. Dass es auch mal länger „am Tisch“ wird als geplant, gehört für den scheidenden Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am St. Elisabethenklinikum in Ravensburg dazu.

 

19 Jahre lang ist er am EK gewesen. Eine Ära geht mit dem 30. April zu Ende. Mitte 2001 ist Prof. Franz Maurer Nachfolger von Dr. Karl Gerhard Stühmer geworden. Anfang der 80er-Jahre war er nach seinem Studium in Tübingen schon einmal in einem Hause der heutigen OSK tätig gewesen, als Assistenzarzt am Krankenhaus Bad Waldsee. Sein Berufsweg führte ihn zurück über Stuttgart nach Tübingen, wo er sich habilitierte und Leitender Oberarzt der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik wurde.

Etliche Adressen hatte Franz Maurer im Blick, als er sich nach einer passenden Chefarztposition umsah. „Die Stelle in Ravensburg war überraschend freigeworden“, erinnert er sich. „Das EK war damals schon die dominierende Unfallchirurgische Klinik in Oberschwaben.“ Das war für ihn der entscheidende Punkt. Und dass Oberschwaben für ihn   gleichbedeutend mit „Heimat“ ist.

Unter der Leitung von Prof. Maurer verschob sich der Schwerpunkt der Klinik noch mehr von der Orthopädie hin zur Unfallchirurgie. Kein Zufall, sondern absehbar genauso wie wünschenswert sei das gewesen. Das EK wurde Überregionales Traumazentrum zur Versorgung Schwer- und Schwerstverletzter. Die Berufsgenossenschaften ließen das Ravensburger Klinikum für das „Schwerstverletzungsartenverfahren“, die höchste Stufe der BG-Versorgung,  zu.

All dies war und ist mit dem Namen von Prof. Maurer verbunden. Das Etikett, er sei ein „BG-Mann“, haftet ihm an. Er widerspricht nicht. „Die BG setzt anerkanntermaßen sehr hohe Maßstäbe für die Versorgung“, sagt er. In einem Krankenhaus, das darauf eingerichtet ist, lasse sich das auch auf anders Versicherte übertragen. „Das nützt allen Patienten.“

Wie vielen Patienten Prof. Maurer in seinem Berufsleben geholfen hat, kann er nicht annähernd abschätzen. Zehntausende mögen es gewesen sein. Auf die Frage, an welche Fälle er sich erinnert, kommen ihm zuallererst Kinder in den Sinn.  Er war erst kurz am EK, als ein Kind auf dem Rutenrummel in die Mechanik eines Karussells rutschte. Ein Teil des Fußes musste amputiert werden. Oder der Fall, als ein Kind nach einem Bootsunfall auf dem Bodensee schwerst verletzt ans EK kam. Zuletzt hatte Prof. Maurer einen Gleitschirmflieger mit einer komplexen Beckenzertrümmerung zu versorgen.

Nicht nur Unfallopfer, sondern auch viele Arthrose- und Tumorpatienten hat er behandelt. „In der Unfallchirurgie geht es um viel mehr als nur um Knochen und Sehnen. Sie ist ein umfassendes Fach“, betont er. „Es fängt an beim großen Zeh und hört auf an der Wirbelsäule.“ Entsprechend aufwändig ist die Ausbildung. „Ich habe in Tübingen 13 Jahre lang gebraucht, bis ich alles einigermaßen beherrscht habe.“

„Ein hoch interessantes Fach“, schwärmt Prof. Maurer auch heute noch von der Unfallchirurgie. „Leider ist es schwieriger geworden, junge Kollegen davon zu begeistern“, stellt er fest. Die Bewerbungen für Oberarzt- und Assistenzarztpositionen sind rar geworden.

Chirurgen leisten eben auch harte körperliche Arbeit, Medizin aber ist weiblicher geworden. Das mag einer der Gründe sein. Arbeitszeitmodelle, die nicht der Vorstellung einer „work-live-balance“ der heutigen Generation entsprechen, kommen hinzu. Ausbildungsmöglichkeiten könnten nach Überzeugung von Prof. Maurer verbessert werden, stünde nicht das Diktat der Finanzen dagegen. Der Chefarzt alten Schlages macht sich Sorgen, ob genügend Jüngere nachkommen werden.Zumal die Zahl der geriatrischen Patienten in der Unfallchirurgie ständig zunimmt.

Die Unfallchirurgie selbst hat die Grenzen ihrer Möglichkeiten noch nicht erreicht. Davon ist Prof. Maurer überzeugt. Potenzial sieht er in der Bildgebung, zum Beispiel in der CT- und MRT-Diagnostik. „Es ist schon Wahnsinn, was wir da heute alles sehen und auch minimal invasiv machen können.“  Der Hybrid-OP mit modernen bildgebenden Anlagen unmittelbar im OP werde neue Möglichkeiten eröffnen. Noch mehr als heute schon werde man endoskopisch bzw. minimal invasiv machen können. Wie sich Navigationsgeräte entwickeln, das müsse man beobachten.

Prof. Maurer wird auch künftig verfolgen, was aus seinem Fach und dem Klinikum wird. Mit Prof. Jörn Zwingmann ist für eine nahtlose Nachfolge in der Chefarztposition gesorgt. Prof. Maurer aber will sich auch mit 65 noch nicht ganz zurückziehen. „Von 120 Prozent zurückschalten auf null, das kann ich nicht.“ Eine ganze Reihe an Aufgaben als Gutachter, als Hochschullehrer, als Berater oder auch in einer Privatsprechstunde will er weiter wahrnehmen oder neu übernehmen.

So lang die Liste auch ist, es soll keinesfalls ein neuer Hundertprozentjob werden. Mehr Zeit will er gemeinsam mit seiner Frau verbringen. Und  auch nur entspannt auf den Marienplatz sitzen. Die Freizeit soll stärker in den Mittelpunkt rücken. Gerne hätte Prof. Maurer wieder auf dem eigenen Pferd am Blutritt teilgenommen. Das fällt der Corona-Krise zum Opfer. Leicht fällt ihm der Abschied von „seinem“ EK, wo er so viel erreicht hat, nicht. Nie mehr wird er frühmorgens ins Haus kommen und die Mitarbeiter begrüßen. „Aber es gibt es, das Leben nach der Klinik“, sagt Prof.  Maurer entschlossen.